Streit in der Gesundheitspolitik - Ärzte warnen vor Versorgungslücken

Landesärztekammer und KV: Bürgerversicherung durch die Hintertür - Arztpraxen werden ausgeblutet

Stuttgart, 21. November 2005. Laut Koalitionsvertrag soll der Gebührenrahmen für ambulante und stationäre ärztliche Leistungen bei privatversicherten Personen abgesenkt werden. In welcher Höhe ist nicht bekannt, jedoch hat Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt in der vergangenen Woche gefordert, die privatärztliche Vergütung auf das Niveau der Gesetzlichen Krankenversicherung abzusenken. Für den so versicherten Personenkreis plant die Koalition eine Behandlungspflicht. 

Dazu erklärt die Präsidentin der Landesärztekammer Baden-Württemberg, Dr. med. Ulrike Wahl: "Damit sind wir dann endgültig in der Bürgerversicherung gelandet." Der Ärzteschaft sei in den letzten 25 Jahren lediglich ein Honorarzuwachs für privatärztliche Leistungen von +13,6 Prozent zugebilligt worden, die Grundlohnsumme sei jedoch im gleichen Zeitraum um 27 Prozent und die Praxiskosten um ein Vielfaches gestiegen. Die Mediziner sähen in der Absenkung der amtlichen Gebührenordnung für Ärzte den Versuch des Staates, seine Finanzprobleme bei der Bezahlung von Beamten durch eine Veränderung der Gebührenstruktur zu kompensieren. Dr. Wahl bringt es auf den Punkt: "Das bedeutet: Sanierung der Beihilfe auf Kosten der Ärztinnen und Ärzte."

Die Auferlegung einer Behandlungspflicht in der Amtlichen Gebührentaxe sei zudem ein klarer Verstoß gegen die Prinzipien der freiberuflichen Berufsausübung, ignoriere die ärztliche Berufsordnung und sei verfassungswidrig, da für diesen Bereich der Landesgesetzgeber verantwortlich zeichne.

Die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW) wirft Ministerin Ulla Schmidt politischen Aktionismus vor. Der Vorstoß der Ministerin sei nicht durch die Koalitionsvereinbarung gedeckt. Dies hätten die Stellungnahmen von Politikern aus CDU und SPD am Wochenende gezeigt. Schmidt wolle offenbar Pflöcke einrammen, bevor die Koalition ihre Arbeit aufnehme. "Die Absichten von Ulla Schmidt ändern zudem nichts an der problematischen Finanzsituation der Gesetzlichen Krankenversicherung, sondern sind reine Ideologie. Dabei darf nicht vergessen werden, dass alleine im zweiten Quartal 2005 die Ärzte und Psychotherapeuten in Baden-Württemberg für Leistungen an Patienten 170 Millionen Euro nicht erstattet bekamen. Im Durchschnitt sind das fast 9.000 Euro pro Arzt," erklärte Dr. med..  Achim Hoffmann-Goldmayer, Vorsitzender des Vorstandes der KVBW. 

Die Absichten der Ministerin gefährdeten die Wirtschaftlichkeit tausender Arztpraxen in Deutschland, die auf Einnahmen von Privatpatienten angewiesen seien. "Die Ausblutung unserer Arztpraxen trifft aber auch die Patienten. Versorgungslücken sind die unweigerliche Folge," warnte Dr. med. Hoffmann-Goldmayer. Es sei nicht verwunderlich, dass es immer schwieriger werde, überhaupt noch junge Menschen für den Beruf des Arztes zu begeistern: "Wir dürfen uns nicht wundern, dass unsere Medizinstudenten damit liebäugeln, ihren Beruf im Ausland, in der Industrie oder bei Behörden auszuüben - nur nicht im Krankenhaus oder in der niedergelassenen Praxis hierzulande."

Statement Dr. Wahl

Statement Dr. Hoffmann-Goldmayer

Stand: 21.11.2005

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letzte Änderung am 21.11.2005