Ärzteschaft setzt große Erwartungen in die neue Regierung

Der Regierungswechsel, die Wiedereinführung des eigenständigen Gebietes "Allgemeinmedizin" in die Weiterbildungsordnung, das Förderprogramm "Allgemeinmedizin", die elektronische Gesundheitskarte, der Bachelor-Studiengang "Arztassistent" und die Impfung gegen die Schweinegrippe - das waren die Themen, die Kammerpräsidentin Dr. Ulrike Wahl bei der Vertreterversammlung am 21. November 2009 in Stuttgart zur Sprache brachte.

Richtungswechsel in der Gesundheitspolitik

Die Ärzteschaft, so die Präsidentin, setzt große Erwartungen in die neue Regierung. Auch wenn nicht alle Wahlversprechen 1:1 umgesetzt werden, so sei doch ein Richtungswechsel in der Gesundheitspolitik wahrscheinlich: Das Bundesgesundheitsministerium befinde sich erstmals in Hand der Liberalen, viele langjährige Forderungen der Ärzteschaft seien im Koalitionsvertrag aufgenommen worden: So bekenne sich die Regierung zur Freiberuflichkeit, Therapiefreiheit und freier Arztwahl. Möglichkeiten der Kostenerstattung sollen ausgeweitet werden, die Honorarreform kritisch überprüft werden. An der privaten Krankenversicherung als Voll- und Zusatzversicherung werde festgehalten. Ferner sei geplant, die Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) an den aktuellen Stand der Wissenschaft anzupassen und die Zulassung von medizinischen Versorgungszentren (MVZs) an bestimmte Voraussetzungen zu knüpfen: So solle die Mehrheit der Geschäftsanteile und Stimmrechte Ärztinnen und Ärzten zustehen, so dass das MVZ von Ärztinnen und Ärzten verantwortlich geführt werde.

Heftig diskutiert unter den Koalitionspartnern und auch in den Medien werde hingegen die Passage zur GKV-Finanzreform. So seien die Eckpunkte zum Gesundheitsfonds noch sehr allgemein und bewusst unscharf formuliert gehalten. Da ist die Rede von "einkommensunabhängigen Arbeitnehmerbeiträgen, die sozial ausgeglichen werden" - und von "mehr Beitragsautonomie und regionalen Differenzierungsmöglichkeiten". Das eine scheint nicht finanzierbar, CSU-Chef Seehofer beziffert die Kosten für den sozialen Ausgleich der Kopfpauschale auf 20 bis 40 Milliarden Euro. Das andere stößt auf Widerstand der neuen Bundesländer. Grundsätzlich aber sieht Dr. Wahl in dem Modell, das die Koalition angedacht hat, die Chance zu einer sachgerechten Weiterentwicklung des Gesundheitssystems.

Eigenständiges Gebiet "Allgemeinmedizin"

Die Vertreterversammlung der Landesärztekammer hatte - wie Dr. Wahl in Erinnerung rief - schon im Juli dem Vorstand den Auftrag gegeben, den Facharzt für Allgemeinmedizin aus dem Gebiet "Innere Medizin und Allgemeinmedizin" auszugliedern und wieder als eigenständiges Gebiet zu führen. Nachdem sich der Vorstand der Bundesärztekammer inzwischen für die Ausgliederung ausgesprochen habe (und ebenfalls der Weiterbildungsausschuss der Landesärztekammer), sei davon auszugehen, dass beim 113. Deutschen Ärztetag die Musterweiterbildungsordnung geändert wird. Anschließend steht - so Dr. Wahl - die Änderung der Weiterbildungsordnungen in den Ländern an. Die Präsidentin ist zuversichtlich, dass die Allgemeinmedizin - mit chirurgischen Weiterbildungsinhalten - noch vor Ablauf der aktuellen Legislaturperiode wieder auf eigenen Beinen steht.

Arzt-Assistent

Kritisch setzte sich die Präsidentin mit dem neuen dreijährigen Bachelor-Studiengang "Arztassistent" auseinander, der vom Wintersemester 2010/2011 an der Dualen Hochschule Karlsruhe eingerichtet werden soll. 

Sicher gebe es medizinische Unterversorgung in weiten Bereichen und Ärztemangel an den Kliniken. Auch erbrächten Ärzte zunehmend medizinferne Tätigkeiten. Grund genug, sich Gedanken zur Abhilfe zu machen. Doch der Arztassistent als neue Kompetenzebene stellt in den Augen von Dr. Wahl keine Antwort auf das Problem dar. Er soll zwar seine Aufgaben in der Verantwortung des Arztes erbringen. Dennoch seien solche Grenzen fließend und der Gedanke, dass mit dem Arzt-Assistenten vakante Arztstellen kostengünstig kompensiert werden können, werde so manchem Klinikchef durch den Kopf gehen. 

Der Deutsche Ärztetag habe sich mehrfach nachdrücklich gegen eine Bachelor-Qualifikation in Medizin ausgesprochen. Es sei schlicht unmöglich, in einem dreijährigen Bachelor-Studium sowohl eine solide wissenschaftliche Grundausbildung als auch eine spezifische Berufsbefähigung zu vermitteln, so die Präsidentin. Die Patienten haben Anspruch auf einen Facharztstandard, mit einer Schmalspur-Medizin ist keinem gedient. Die Entwicklung - mahnt Dr. Wahl - müsse daher kritisch verfolgt werden. 

Aus der Vertreterversammlung meldeten sich Stimmen, die im Arztassistenten den falschen Lösungsansatz sehen. Angesichts des drohenden Nachwuchsmangels sei es wichtiger, dafür zu sorgen, dass die 42 Prozent der Hochschulabsolventen, die aufgrund der Umstände nicht im Beruf landen, sich doch für den Arztberuf entscheiden. Dazu müssten die Bedingungen für die Berufsausübung geändert werden.

Förderung Allgemeinmedizin

Vor allem in der Allgemeinmedizin fehlt der Nachwuchs. Die Vertreterversammlung hatte den Vorstand daher - wie Dr. Wahl erinnerte - im Juli angeregt, bei der Kammer eine Koordinierungsstelle zur Förderung des Nachwuchses in der Allgemeinmedizin in Baden-Württemberg einzurichten. Diese Koordinierungsstelle soll die Einrichtung von Weiterbildungsverbünden in Baden-Württemberg - insbesondere im ländlichen Raum - fördern, unterstützen und begleiten. Diese Arbeitsgruppe - besetzt mit Vertretern aus den Bezirken - ist dem Bericht der Präsidentin zufolge inzwischen gegründet worden und wird sich Mitte Dezember treffen.

In diesem Zusammenhang konnte Dr. Wahl den Vertretern eine weitere gute Nachricht überbringen: Die Rahmenvereinbarung Förderprogramm Allgemeinmedizin nach dem Solidaritätsstärkungsgesetz sei (fast) in trockenen Tüchern. Nach zähen Verhandlungen haben sich KBV, DKG und GKV - im Benehmen mit der Bundesärztekammer - auf konkrete Zahlen geeinigt. Folgende Fördersummen seien vom 1. Oktober nächsten Jahres an vorgesehen: Eine Weiterbildungsstelle im ambulanten Bereich wird mit 1750 Euro von der GKV und mit 1750 Euro von der KV gestützt. In Gebieten mit drohender Unterversorgung werde dieser Betrag um 250 Euro aufgestockt, in Gebieten mit festgestellter Unterversorgung 500 Euro. Stationäre Stellen im Gebiet Innere erhalten 1020 Euro, Weiterbildungsstellen in anderen Gebieten der unmittelbaren Patientenversorgung 1750 Euro.

Telematik

Wie Dr. Wahl berichtete, hatte die AOK Rheinland als erste die Auslieferung der Karte gestoppt, andere Kassen folgten. Der neue Minister habe klar gestellt, dass sich die Überprüfung des Projekts Gesundheitskarte nicht auf die Startregion in NRW beziehe. Die Karte dürfte dort früher oder später ausgeteilt werden, jedoch vorerst nur als Krankenversichertenkarte mit Bild, online könne man mit dem Stück Plastik auch nach bisheriger Planung zunächst nicht gehen. 

Die Karte an sich steht nicht zur Disposition. Das wäre auch nicht sachgerecht. "Wir brauchen eine sichere medizinische Telematikinfrastruktur, die die technischen Voraussetzungen dafür schafft, dass medizinische Daten im Bedarfsfall sicher und unproblematisch ausgetauscht werden können", stellte Dr. Wahl klar. Es sei wichtig, dass endlich die Belange der Anwender in den Vordergrund gestellt werden. Die Verbesserung der Patientenversorgung sowie Aspekte der Praktikabilität müssten Richtschnur für das Projekt sein.

Schweinegrippe

Am 17. März wird der erste Fall in Mexiko diagnostiziert. Vor vier Wochen ist der erste Impfstoff ausgeliefert worden, Listen impfwilliger Ärzte stehen - so Dr. Wahl - der Bevölkerung zur Verfügung. Die Landesärztekammer habe damit ihre Verpflichtung erfüllt, bei der Prävention, der Förderung und dem Schutz der Gesundheit der Bevölkerung mitzuwirken. Das Land sei überschüttet worden mit sich widersprechenden Expertenaussagen zur Risikobewertung. Der Bürger sei extrem verunsichert. Zur Impfung selbst habe sich die Kammer in der Öffentlichkeit nicht geäußert, so Dr. Wahl. Bei aller Tragik der Einzelschicksale, das Grippegeschehen liegt gegenwärtig im üblichen Bereich.

Kammerbeitrag gesenkt

Der Kammerbeitrag wird günstiger. Aufgrund der guten Haushaltslage hat die Vertreterversammlung den Beitragsfaktor erneut gesenkt: Derzeit beträgt der Kammerbeitrag 0,43 Prozent der Einkünfte aus ärztlicher Tätigkeit. Vom ersten Januar an werden es nur noch 0,41 Prozent sein.

Weitere Themen der Vertreterversammlung waren: Wahlen zur Versorgungsanstalt der Ärzte, Zahnärzte und Tierärzte in Tübingen, die Änderung der Gebühren- und der Meldeordnung sowie ein Bericht über erste Erfahrungen mit dem Projekt "Evaluation der Weiterbildung", dessen inhaltliche Ergebnisse aber erst Anfang nächsten Jahres erwartet werden. 

Entschließungen

Die Vertreterversammlung der Landesärztekammer Baden-Württemberg fordert einen absoluten Schutz der Ärzteschaft vor staatlicher Überwachung. Die Delegierten erwarten, dass nicht nur Anwälte sondern auch für Ärzte ein absolutes Beweiserhebungs- und Beweisverwertungsverbot gelten muss, damit das Patienten-Arzt-Verhältnisses nicht ausgehöhlt wird. Die in der Strafprozessordnung bestehende Ungleichbehandlung der zeugnisverweigerungsberechtigten Berufe müsse aufgehoben und auch Ärzte unter den uneingeschränkten Schutz des 160 a Abs. 1 gestellt werden. 

Was die Finanzierungsgrundlagen im ambulanten Bereich betrifft, fordert die Vertreterversammlung der Landesärztekammer die Landesregierung auf, alles in ihrer Macht stehende zu unternehmen, den Mittelabfluss und die Verwerfungen durch Gesundheitsfonds und EBM-Reform umgehend, bereits für 2010, zu korrigieren.

Weitere Entschließungen wurden unter anderem zur Elektronischen Gesundheitskarte, der Evaluation der Weiterbildung, zur Arbeitsteilung in Praxis und Klinik und zur Weiterbildung Allgemeinmedizin gefasst.

Stand: 23.11.2009

Zurück

letzte Änderung am 23.11.2009