Beeindruckende Veranstaltung über Täter und Opfer unter Medizinern im Nationalsozialismus

Ärzte im Dritten Reich

Auf großes Interesse stieß eine gemeinsame Veranstaltung der Landesärztekammer Baden-Württemberg, dem Verein "Gegen Vergessen - für Demokratie" und dem Haus der Geschichte. Mehr als 200 Zuhörer folgten gebannt den Vorträgen und der anschließenden Podiumsdiskussion zum Thema "Ärzte im Nationalsozialismus". Es ging um Täter und Opfer unter Medizinern im Dritten Reich.

04-Ruess kleinJüdische Ärzte waren Opfer des Nationalsozialismus. Darüber berichtet die Ärztin Dr. Susanne Rueß in ihrem kenntnisreichen Vortrag. Sie verloren ihre Zulassung, mussten das Land verlassen, viele wurden ermordet. Jüdische Ärzte wurden im Nationalsozialismus früh diskriminiert. Bereits im Jahr der Machtübernahme Hitlers 1933 erhielten junge Ärzte keine Zulassung mehr. Die niedergelassenen Ärzte wurden in ihrer Arbeit behindert, schließlich wurde sie ihnen unmöglich gemacht. Viele, vor allem jüngere jüdische Mediziner, verließen früh das Land, berichtet Rueß. In der Bevölkerung waren jüdische Ärzte beliebt. Im Südwesten waren sie regional besonders stark verwurzelt. Das hat vor allem ältere jüdische Mediziner dazu bewogen, trotz aller Repressalien noch lange den Beruf im Land auszuüben. Von 86 jüdischen Ärzten in Stuttgart wurden mindestens acht in den Konzentrationslagern ermordet, stellt die Referentin fest.

05-Rößner kleinEuthanasie-Ärzte waren Täter. Mit diesen setzt sich Franka Rößner von der Gedenkstätte Grafeneck im zweiten Vortrag des Abends auseinander. Die Referentin nennt diese furchtbaren Begriffe, die den Zuhörer noch heute betroffen machen: "Beseitigung unnützer Esser", angeblich "unheilbar Kranken den Gnadentod gewähren". Das war die Ideologie, die diese Generation von Ärzten geprägt und ihre Arbeit bestimmt hat. Diese Vorstellung hatte sich bereits Jahrzehnte vor der Zeit des Nationalsozialismus herausgebildet und prägte das Selbstverständnis dieser Ärzte auch in der Nachkriegszeit. Am Beispiel von Eugen Stähle, dem Leiter des Gesundheitswesens in Württemberg in der NS-Zeit, legt dies die Referentin beeindruckend dar. Rößner schildert in ihrem Vortrag, dass im Behindertenheim Grafeneck rund 100 Männer und Frauen die Ermordung der Insassen organisierten, doch sie stellt klar: "Es waren die Ärzte, die den Gashahn in Grafeneck öffneten".

13-Diskussion kleinIn der anschließenden Podiumsdiskussion fragt Moderator Eggert Blum vom SWR, ob diese Ärzte ein Schuldbewusstsein besaßen. Dr. Karl-Horst Marquart, der frühere Leiter des Stuttgarter Gesundheitsamts, Mitglied des deutschlandweiten Arbeitskreises zur Erforschung der nationalsozialistischen "Euthanasie" und Zwangssterilisation, hat sich intensiv mit Amtsärzten beschäftigt. Am Beispiel der Ärzte, die behinderte Kinder in den Tod schickten, zeigt er, wie diese die Morde vertuschten: "Die Kinderärzte haben die Eltern belogen. Sie wussten, was sie taten. Kein Kinderarzt unterschrieb mit seinem richtigen Namen."

Aber es waren nicht nur die Amtsärzte. Für die Zwangssterilisierung, sagt Prof. Dr. Robert Jütte, Leiter des Instituts für Geschichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung, haben auch niedergelassene Ärzte ihre Patienten vorgesehen. "Es gab ein Honorar dafür", so Jütte. Also habe es neben ideologischen Gründen auch wirtschaftliche Anreize gegeben, sich am Unrecht zu beteiligen.

Für Hans-Joachim Lang, Journalist und Autor, ist es wichtig, auch einmal die Opferperspektive einzunehmen. In seinem Buch "Die Frauen von Block 10" hat er sich intensiv mit den Menschenversuchen in Auschwitz beschäftigt und konkret die unvorstellbaren Leiden von rund 800 Frauen beschrieben. Lang geht von einem heimlichen Einverständnis in der Bevölkerung mit den Euthanasieaktionen aus. Nur Angehörige und religiös motivierte Menschen seien dagegen gewesen.

14-Publikum kleinDass die Euthanasieaktion von den Nazis schließlich doch abgebrochen wurde, hängt für Dr. Karl-Horst Marquart damit zusammen, dass der Bevölkerung zunehmend unklar war, wie weit das Ganze noch gehen könnte. "Sollten am Ende auch noch verwundete Soldaten umgebracht werden?", fragt Dr. Marquart. Das habe für starke Unruhe in der Bevölkerung gesorgt und die Nazi-Führung bewogen, die Aktion abzubrechen.

Am Ende der Veranstaltung ermuntert Dr. Robin Maitra, Mitglied der Arbeitsgruppe zur NS-Vergangenheit bei der Bezirksärztekammer Nordwürttemberg, das Publikum herauszufinden, "was wir aus dem Dritten Reich lernen können". Maitra stieß bereits im Studium auf dieses Thema und es hat ihn nie wieder losgelassen.

Peter Schaller / Dr. Oliver Erens

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letzte Änderung am 30.03.2012