Baden-Württembergischer Ärztetag diskutierte angeregt über den Mangel im Gesundheitswesen

Die Alten gehen, die Jungen flüchten

Am vergangenen Samstag zog der baden-württembergische Ärztetag über 200 Interessierte aus Ärzteschaft, Politik, von Krankenkassen und weiteren Unternehmen und Organisationen im Gesundheitswesen nach Stuttgart. Kammerpräsident Dr. Ulrich Clever durfte ein volles Haus begrüßen, denn das Thema des Ärztetags hatte genau ins Schwarze getroffen.

KniepsFranz Knieps, Jurist und Krankenversicherungsexperte, moderierte gekonnt und mit großem Sachversand. Nach seiner Analyse nehme der Mangel im Gesundheitswesen die humanen Ressourcen nicht aus. Die Leistungsempfänger müssten sich folgerichtig damit abfinden, dass das Gesundheitssystem künftig nicht mehr so leicht zugänglich sein werde wie bisher gewohnt.

WenkerDrei ärztliche Referenten beleuchteten aus ganz unterschiedlichen Perspektiven den Ärztemangel: Dr. Martina Wenker, Vizepräsidentin der Bundesärztekammer, verdeutlichte anhand ihrer eigenen Biografie, dass sich insbesondere aus fehlender Wertschätzung für den Arztberuf Frustrationen entwickeln. Jeder Einzelne sei aufgerufen, sein berufliches Umfeld mitzugestalten. Die ärztlichen Körperschaften müssten zudem die richtigen Rahmenbedingungen von Politik und Gesellschaft fordern.

KampsDr. Harald Kamps, Allgemeinarzt aus Berlin, war zuvor in Norwegen tätig und wusste die beiden Gesundheitssysteme zu vergleichen. In Skandinavien sei die Wertschätzung für Ärzte deutlich ausgeprägter. Am hiesigen System störten ihn hingegen die ausgeprägten Hierarchien, die Unvereinbarkeit von Familie und Beruf sowie die ausufernde Bürokratie. Seine Therapieempfehlung: man solle nicht etwa die Ärzteschaft nach Norwegen locken, sondern man müsse versuchen, unser Gesundheitssystem ein wenig norwegischer zu machen.

ZeltnerProf. Dr. Thomas Zeltner, früherer Leiter des Schweizerischen Bundesamtes für Gesundheit und Honorarprofessor in Harvard, wusste seine Zuhörer mit entwaffnender Ehrlichkeit zu verblüffen: Deutschland löse eines der Schweizer Probleme, indem viele Mediziner dorthin auswanderten. Denn der eidgenössische Bundesstaat sei – ärztlich gesehen – ein Immigrationsland; noch immer würden viel zu wenige Inländer zu Ärzten ausgebildet. Die Schweizer Sogwirkung sei nicht zuletzt der dortigen besonderen Wertschätzung für die Ärzteschaft geschuldet.

Das interdisziplinär besetzte Auditorium des Ärztetags diskutierte sehr engagiert mit dem Podium und identifizierte neben der Wertschätzung für die Health Professionals zahlreiche weitere Faktoren, die unsere Ärzte künftig dazu bringen könnten, nicht in fremde Berufsfelder oder gar ins Ausland abzuwandern: Darunter Verlässlichkeit und Planbarkeit für Ärztinnen und Ärzte, Vertrauen und Kooperation der Gesundheitsberufe untereinander, Respekt und Achtung aller Beteiligten. Derlei Soft Skills müssten das gemeinsame Ziel von Politik, Gesellschaft und Ärzteschaft sein, dann würde sich im System etwas bewegen, so der kleinste gemeinsame Nenner.

CleverKammerpräsident Dr. Clever brachte am Ende zum Ausdruck, was die meisten im Saal dachten: Die Zeit des Jammerns über die vorherrschenden Zustände ist vorbei. Die Ärzte müssen vielmehr ihre Forderungen klar formulieren und dürften nicht nachlassen, eigenen Gestaltungswillen zu zeigen. Nicht das übereinander Sprechen, sondern der gemeinsame Dialog sind dabei essenziell.

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letzte Änderung am 23.07.2012